Ein Sprungbrett in die Zukunft
In einer globalisierten Welt verschafft Mehrsprachigkeit klare Vorteile. Zwei Schulen in der Region Zürich zeigen, wie ein modernes Bildungsmodell Kinder und Jugendliche auf eine internationale Karriere vorbereitet. Eine auf Französisch, die andere auf Englisch
In der Marmothèque ist es hell und einladend. Runde Teppiche, ein imposanter Traumfänger aus Federn, in der Ecke steht ein Baum. Es ist eher ein Fantasiebaum, gestaltet aus einem Zweig, an dem weisse Kugeln hängen – sind da kleine Mäuschen darin? Wer weiss. Aber das Wichtigste sind die Bücher, Bücher überall, farbenfroher Lesestoff für Kinder im Vorschulalter, der École maternelle. Er liegt in extra tiefen Holzkisten, ordentlich sortiert nach Themen wie «Les animaux sauvages», «Nature environnement» oder «Histoire et civilisations». «Das Wort Marmothèque ist ein Neologismus», schmunzelt Yannick Heintz, Koordinator für die Primarschule am Lycée Français de Zurich(LFZ): «‹Marmot› ist eine liebevolle Art, Kind auf Französisch zu sagen.»
BCD und CDI sind dann die Kürzel für die Bibliothèque et Centre Documentaire der Primarstufenschüler. CDI, das Centre de Documentation et d’Information, ist der Ort für die Sekundarschüler, welche sich auf das Bac – das Baccalauréat, die französische Matura – vorbereiten.
Aus dem LFZ wird LFIZ Das LFZ
Das LFZ ist seit seinem Gründungsjahr 1956 stark gewachsen. Noch mehr, seit es am Bahnhof Stettbach beheimatet ist, zentral vor den Toren der Stadt Zürich. Seit 2016 ist es an der verheissungsvollen Adresse «Zukunftsstrasse 1» beheimatet. Heute gehört das LFZ mit seinen rund 1200 Schülerinnen und Schülern zu den wichtigsten Privatschulen im Kanton. Es bietet den zweisprachigen Bildungsweg für Drei- bis 18-Jährige an, wobei anfangs konsequent zur Hälfte Deutsch und Französisch gesprochen wird. Ab der Primarschule wählen die Schüler aus zwei Sprachprofilen aus, dem bilingualen und dem mehrsprachigen beziehungsweise dem internationalen Bildungsweg. Mit 18 Jahren können sie dann ein dreisprachiges Baccalauréat Français International ablegen. Denn die Schule legt Wert auf Internationalität – in Zukunft will sie sich noch mehr auf den globalen Bildungsweg ausrichten. So wird im September dieses Jahres aus dem LFZ das LFIZ, das Lycée Français International de Zurich. Die Schule ist Teil des weltweiten Netzwerks der Agence pour l’Enseignement Français à l’Étranger (AEFE), das den Unterricht gemäss den Lehrplänen des französischen Bildungsministeriums gewährleistet. Gleichzeitig folgt man dem Lehrplan 21 der Bildungsdirektion des Kantons Zürich. «Wir wollen eine Brücke zwischen der Schweiz, Frankreich und allgemein dem Ausland schlagen», sagt Saloua Zouine, die gebürtige Französin und Direktorin des Kindergartens und der Primarschule am LFZ, «schliesslich unterrichten wir Schülerinnen und Schüler aus 35 Nationen.» Gemeinsam mit Rektor Quentin Duvauchelle ist sie überzeugt, dass die verstärkte internationale Ausrichtung die Schülerschaft optimal auf globale Karrieren in einer sich rasch wandelnden Welt vorbereitet. «Das erweiterte Angebot steigert unsere Attraktivität für Familien, die sich eine vielseitige Bildung für ihre Kinder wünschen», ist Duvauchelle überzeugt.
«Es sind nicht nur Expats bei uns angemeldet», sagt Zouine, «rund ein Drittel unserer Familien, darunter viele Schweizer, spricht zu Hause kein Französisch.» Zudem beobachten sie eine Veränderung im Verhalten von Familien, die aus dem Ausland kommen. «Viele ausländische Arbeitskräfte bleiben heute dauerhaft in der Schweiz. Ihre Kinder sollen sich hier vollständig integrieren.»
Von Eltern für Eltern
Stolz sind beide Schulleiter auf ihr jüngstes Bauprojekt. Direkt gegenüber dem bestehenden Schulgebäude entsteht bis 2026 ein neuer Komplex mit Schul- und Seminarräumen, Turnhallen, Sportplätzen und einer Mensa. «Wir schaffen damit die dringlich benötigten zusätzlichen Räume und eine moderne Lernumgebung für unsere Sekundarstufe», so Duvauchelle. Das architektonische Highlight des Gebäudes wird das Dach sein, ausgestattet mit einem Multisportfeld und einem begrünten Hof. «Ein inspirierender Ort für Lernen und Begegnung», heisst es verlockend im Projektbeschrieb. Das Jahr 2026 wird für das LFIZ, wie die Schule bald heissen wird, ein bedeutendes Jahr. Nicht nur wegen der Erweiterung, sondern auch, weil die Schule ihren 70. Geburtstag feiert. Eine weitere Besonderheit ist, dass die Schule von Eltern gegründet wurde und seither von Eltern geleitet wird. Die Association du Lycée Français de Zurich (ALFZ) verwaltet die Schule, und alle Eltern sind Mitglieder dieser Organisation. Zurück im Unterricht: Hier im Kindergarten wird bereits mit den typisch französischen «Seyès»-Heften gearbeitet, deren feine Hilfslinien eine saubere Handschrift fördern. Schon die Kleinsten arbeiten auch an Kompetenzen wie Sprache, Feinmotorik, Phonologie und künstlerisch-grafische Fähigkeiten. Jetzt sitzen sie in Gruppen an ihren Tischchen, betreut von einem zweisprachigen Lehrerpaar, einem Binôme, wie man auf Französisch sagt. «Ich bin überzeugt, dass die frühe Mehrsprachigkeit die metalinguistischen Fähigkeiten der Kinder fördert», sagt Vorschullehrerin Pia Reymond, «die Gymnastik im Kopf tut ihnen gut.» Primarschullehrerin Maria Frech doppelt nach: «Die Neugier, die Aufmerksamkeit, die Offenheit – das sind alles Merkmale meiner Schülerinnen und Schüler.»
«Mehrsprachigkeit fördert nicht nur die Sprache, sondern auch die geistige Flexibilität.»
Pia Reymond, Vorschullehrerin am Lycée Français de Zurich
Auf den beiden Campus
Die Zurich International School (ZIS) ist die am längsten akkreditierte internationale Privatschule in der Schweiz. Ihre zwei Standorte am linken Zürichseeufer ermöglichen eine altersgerechte Bildung für Schülerinnen und Schüler aus aller Welt. Auf dem Campus in Wädenswil besuchen rund 450 Kinder die Vorschule bis zur fünften Klasse (Lower School); am Standort in Adliswil sind die Mittelstufe (Middle School) und das Gymnasium (High School) angesiedelt. Rund 800 Jugendliche werden hier bis zur zwölften Klasse unterrichtet. Anschliessend haben sie nahtlosen Zugang zu nahezu allen Universitäten und Fachhochschulen weltweit, einschliesslich renommierter Schweizer Institutionen wie der UZH, ETH und HSG. Unbestritten ist die Schülerschaft der ZIS äusserst international und stammt aus über 50 Ländern. Dennoch ist das ausgeprägte Zusammengehörigkeitsgefühl bekanntes Alleinstellungsmerkmal der Schule. Wie lässt sich das erklären?
Elsa Hernández-Donohue leitet seit einem halben Jahr die Schule, welche durch die New England Association of Schools & Colleges (NEASC) akkreditiert ist. Für sie ist die Förderung des Zusammengehörigkeitsgefühls essenziell für den Erfolg ihrer Schülerinnen und Schüler. «Sie sollen neugierige, resiliente Denkerinnen und Denker werden», betont die Direktorin. «Um dieses Ziel zu erreichen, müssen sie sich hier an unserer Schule sicher genug fühlen, um Risiken einzugehen. Aus dieser Risikobereitschaft entsteht Innovation.» Hernández- Donohue legt Wert darauf, dass die Schülerschaft zu «globalen Bürgern» heranwächst. Ganz im Sinne des Schulmottos «international ausgerichtet – lokal verwurzelt ». «Die Schüler sollen die Welt als ihr Zuhause begreifen», sagt die gebürtige Venezolanerin. Zudem fördert die Schule die aktive Beteiligung der Eltern am Schulleben und engagiert sich stark für Nachhaltigkeit, beispielsweise durch die Förderung von Solarenergie, Fahrgemeinschaften und die Nutzung des öffentlichen Verkehrs.
Die ZIS bietet zwei Hauptbildungswege an: den International Pathway, der Standardweg mit englischsprachiger Ausbildung, und den Bilingual Pathway in Englisch und Deutsch. Letzterer wird jährlich ausgebaut und richtet sich derzeit an Kinder im Alter von drei bis elf Jahren. Er basiert auf dem Schweizer Lehrplan 21 und integriert gleichzeitig internationale Bildungsstandards. Der bilinguale Unterricht folgt dabei einem einzigartigen Ansatz: Die Kinder lernen täglich sowohl auf Englisch als auch auf Deutsch, nicht im Wechsel von Tag zu Tag. «Alle Klassenlehrpersonen beherrschen beide Sprachen und leben die Zweisprachigkeit vor», erklärt Tanja Alvesalo, Verantwortliche für den bilingualen Bildungsweg. In den kommenden Jahren wird dieser bis zur neunten Klasse ausgebaut werden. «Der bilinguale Weg richtet sich an Familien mit Schweizer Wurzeln, internationale Familien sowie Familien, die ihren Kindern sowohl lokale als auch internationale Bildungswege ermöglichen wollen», so Alvesalo. Um den Unterschied zu verdeutlichen: Im bilingualen Weg lernen die Schülerinnen und Schüler «in Deutsch», im internationalen Weg lernen sie «Deutsch».
Alle Türen stehen offen
Besuch in einer bilingualen Unterstufenklasse. Die Türen des Klassenzimmers stehen weit offen, und sie bleiben es auch während des Unterrichts. «Ein Ausdruck unserer Open-Door-Policy», wie Michaela Seeger, Direktorin für Community Relations, betont. Im Kreis sitzen zwölf Drittklässler um Klassenlehrerin Sophie Rimpler, eine gebürtige Österreicherin, die in Deutsch und Englisch unterrichtet. Unterstützt wird sie von der Neuseeländerin Jo Steffen, die mit den Kindern Englisch spricht, um eine optimale Förderung zu gewährleisten. Die Kernfächer werden ab der dritten Klasse gleichmässig auf Deutsch und Englisch verteilt. «Mein Vogel, der nach up and down geht», sagt die kleine Elin. Die Lehrerinnen nehmen die Antworten der Kinder in gemischter Sprache selbstverständlich entgegen und entflechten sie in ihren eigenen Antworten – die eine auf Deutsch, die andere auf Englisch. «Diese Lektionen im Cross-over-Learning oder Team Teaching führen wir ein- bis zweimal pro Woche durch», sagt Rimpler. Wichtig sei, individuell auf die Kinder einzugehen. Deshalb wird die Klasse regelmässig in Gruppen aufgeteilt. «Wir wollen den Schülern ein sicheres und unterstützendes Umfeld bieten», ergänzt Steffen. Die Zweisprachigkeit sei kein Produkt, sondern ein Prozess, der auf einem soliden Fundament des frühen, intensiv im Kindergarten und auf der Unterstufe gepflegten Deutschunterrichts aufbaue. Nebst der Sprache steht auch die Persönlichkeitsentwicklung im Zentrum. Die Lehrerinnen sind sich einig: «Kinder sind von Natur aus einzigartig, neugierig, sozial und fähig. Wir müssen sie nur ermutigen.»
Der Tag neigt sich dem Ende zu. Im Schulhausgang des Adliswiler Campus fällt der Blick auf die mit Fotos geschmückten Wände. Hier werden der Austausch und die Beziehung zu den Alumni gepflegt – ein starkes Band. Wer hat was erreicht? Wer kann welche Erfahrungen weitergeben? Und welche ehemalige Lehrkraft hat ihre Arbeit so gut erledigt, dass sie in diesem Jahr den «John Mattern Award» erhält, die Auszeichnung für die beste Lehrkraft des Jahres? All diese Ereignisse werden mit Fotos dokumentiert. Der Blick schweift weiter auf den Sportplatz nach draussen. Dort wird American Football gespielt. Private Schulen errichten längst nicht mehr nur reine Unterrichtsgebäude. Tagesstrukturen gehören zum Standard, sowohl am Lycée Français International de Zurich (LFIZ) als auch an der ZIS. Das Raumprogramm umfasst daher Gruppenräume, Kunstateliers, Labors, einen Mehrzweckraum sowie Dreifachturnhallen. Im Fall der ZIS steht diese sogar der öffentlichen Schule und den Adliswiler Vereinen zur Nutzung offen. Dies zeugt von einem friedlichen Miteinander und einer gelungenen Integration in das lokale Gemeindeleben.